Schweiz
Was ich wirklich denke

Strassenbauer erzählt von Hitzetagen und abnehmender Wertschätzung

Teaser Strassenbauer was ich wirklich denke
Strassen- und Belagsbau: Arjan kennt die Schatten- und Sonnenseiten.Bild: watson
Was ich wirklich denke

Strassenbauer packt aus: «Sie motzen im Büro auf hohem Niveau, wir schuften in der Hitze»

Ein Strassenbauer erzählt, wie die Hitze allen zu schaffen macht – aber auch wie herablassende Büroleute, schwer umsetzbare Sicherheitsvorschriften und Alltagsrassismus den Job immer unattraktiver machen.
13.08.2025, 14:2213.08.2025, 15:32
Mehr «Schweiz»
Was ist «Was ich wirklich denke»?
Wir gestehen: Bei der Idee für «Was ich wirklich denke» haben wir uns schamlos beim «Guardian»-Blog «What I'm really thinking» bedient. Wir mussten fast, denn die Idee dahinter passt wie die Faust aufs Auge auf unseren alten Claim «news unfucked». Es geht darum, Menschen, Experten, Betroffene anonym zu einem Thema zu Wort kommen zu lassen, ohne dass diese dabei Repressalien befürchten müssen. Roh und ungefiltert. Und wenn du dich selber als Betroffener zu einem bestimmten Thema äussern willst, dann melde dich bitte unter wasichdenke@watson.ch.

Die Namen unserer Gesprächspartner sind frei erfunden.
  • Arjan* arbeitet seit über zehn Jahren als Strassenbauer in der Deutschschweiz.
  • Am meisten belastet ihn die extreme Hitze, die Geringschätzung und Rassismus.
  • Immer weniger wollen den Job noch machen.

Wer im Büro sitzt, kann nicht verstehen, wie es sich anfühlt, bei 35 Grad in Vollmontur stundenlang in der prallen Sonne zu stehen – ohne eine einzige Pause. Schon im Stehen läuft der Schweiss in Strömen. Und wir müssen dabei noch schwere körperliche Arbeit verrichten. Ich spüre, wie die Sommer jedes Jahr brutaler werden. Die Luft fühlt sich an wie 45 Grad im Ausland – schwer, drückend, kaum zu atmen.

Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich oft so erschöpft, dass ich nicht mal mehr essen kann.

Solange sich gesetzlich nichts ändert, wird das immer schlimmer. Denn die Arbeitgeber tun nur das Nötigste – zum Beispiel die Ausgabe von Wasser im Sommer. In der Schweiz gibt es derzeit kein «Hitzefrei». Nur im Tessin dürfen Arbeiter an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen mit Hitzewarnstufe 3 früher nach Hause gehen. So eine Regelung sollte es landesweit geben, denn am Nachmittag brennt die Sonne am heftigsten.

Nach dem Mittag arbeiten wir nämlich oft vier Stunden durch. Die Suva empfiehlt, ab 33 Grad jede Stunde 15 Minuten im Schatten zu ruhen. Unser Polier würde darüber nur lachen. Eine Viertelstunde am Nachmittag – das ist das höchste der Gefühle. Und auch nur, wenn wir ausdrücklich darum bitten.

Gefährliche Situationen

Besonders hart ist es an heissen Tagen auf den Hauptstrassen. Dort sind wir gesetzlich verpflichtet, lange Hosen zu tragen.

Gleichzeitig werden andere Vorschriften oft ignoriert, sobald niemand hinschaut. Keine Handschuhe, ungesicherte Baustellen – Hauptsache, es geht schneller. Zeit ist Geld. Einmal sollte ich in einen fünf Meter tiefen, ungesicherten Graben steigen. Wäre dieser eingestürzt, hätte ich sterben können. Ich habe mich geweigert.

Auf dem Bau gilt noch oft das Gesetz der Härte. Wer sich beschwert, gilt als Schwächling. Dass ich mit Anfang 20 bereits einen Bandscheibenvorfall hatte, interessiert niemanden. Und ich bin nicht der Einzige.

«Manche Menschen lassen beim Vorbeigehen verächtliche Kommentare fallen.»

Kein Wunder, dass viele Junge den Job nicht mehr machen wollen. Zu viele Regeln, zu viel Dreck, zu viele Schmerzen.

Und dann ist da noch der Alltagsrassismus. Poliere, die dumme Witze machen. Vorgesetzte, die meinen Namen hören und direkt fragen, woher ich «wirklich» komme.

Einer hat sogar das N-Wort gesagt – hinter dem Rücken eines Kollegen. Beschwerden? Gibt es nicht.

Keine Wertschätzung

Doch nicht nur von Vorgesetzten wird man von oben herab behandelt. Manche Menschen lassen beim Vorbeigehen verächtliche Kommentare fallen, während sie auf dem Weg in ihre klimatisierten Büros sind. Sie nörgeln wegen Absperrungen. Dass wir nur Vorschriften umsetzen, interessiert nicht. Dass wir bei Hitze körperlich arbeiten, auch nicht. Dass wir Respekt verdienen – sowieso nicht. Mich nervt, dass viele Leute im Büro auf hohem Niveau motzen, obwohl sie es eigentlich gut haben.

Ich merke, wie wir immer weniger geschätzt werden. Früher kamen noch öfter Anwohner zu uns, die sich für unsere Arbeit bedankten. Sie zeigten ihre Wertschätzung mit einem Kaffee im Winter. Oder einem Glace im Sommer. Ein «Merci» von älteren Leuten, die wussten, was harte Arbeit bedeutet. Dies wurde in den vergangenen Jahren immer seltener. Aber wenn es passiert, dann tut es gut. Dann weiss ich: Meine Arbeit ist etwas wert.

«Ich mag den Gedanken, über eine Strasse zu fahren und sagen zu können: ‹Die habe ich gebaut.›»

Nicht alles ist schlecht. Ich bin gern draussen. Ich mag den Gedanken, Spuren zu hinterlassen – über eine Strasse zu fahren und sagen zu können: «Die habe ich gebaut.» Aber es braucht mehr Schutz, mehr Pausen, mehr Respekt. Und weniger Gleichgültigkeit.

*Aufgezeichnet von watson

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Es wird heiss! Hier: 18 Dinge, die schmelzen wie du heute
1 / 22
Es wird heiss! Hier: 18 Dinge, die schmelzen wie du heute
quelle: reddit
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Klimabericht: Wenn wir so weiter machen, nimmt die Erwärmung bis 2100 bis zu 3,5 Grad zu
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
280 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Donny Drumpf
13.08.2025 14:27registriert November 2019
Danke für die ehrlichen Worte. Meinen Respekt vor allen die bei der Hitze auf der Baustelle schuften.
41111
Melden
Zum Kommentar
avatar
Snowy
13.08.2025 14:43registriert April 2016
Menschen, die sich despektierlich und herablassend vs sog. "niederen" Berufsgruppen wie z.Bsp auch Putzpersonal auslassen, sind der absolute ...

Achtet beim Kennenlernen von Menschen darauf, wie diese sich vs dem Putzpersonal etc verhalten.
Ist meist ein sehr guter Hinweisgeber.

Habe mal ein erstes Date direkt beendet als Madame die Servierfrau übelst und von oben herab wegen einer Nichtigkeit beleidigt hat. Ihre Reaktion darauf (nachdem sie sich kurz und halbherzig bei mir -nicht bei ihr- entschuldigen wollte) hat dann meinen Entscheid zu 100% bestätigt.
3587
Melden
Zum Kommentar
avatar
Lohner
13.08.2025 14:46registriert August 2025
Die Strassenbauer - vor allem wenn sie neuen Teerbelag einbringen - sind tatsächlich nicht zu beneiden bei diesen Temperaturen. Danke, dass ihr unsere Strassen Instand haltet.
2584
Melden
Zum Kommentar
280
Nationalrätin Yvonne Bürgin kandidiert für Mitte-Fraktionspräsidium
Die Zürcher Nationalrätin Yvonne Bürgin kandidiert für das Präsidium der Mitte-Bundeshausfraktion. Sie hatte bereits früher Interesse an dem Amt bekundet.
Zur Story